Tallinn, die Schöne, mittelalterliche, architektonisch interessante neue Stadt. Katzen, Eulen und Engel geistern durch die unzählbaren Souvenirläden. Stoffe mit fröhlich bunten Mustern, Leinenkleider und Schafwollsocken, Handschuhe, Mützen und Filzsaunahüte, Holz, Keramik und Glaskunst und Kitsch werden angeboten, für (fast?) jeden was. Sauber ist es in Tallinn. Und der öffentliche Nahverkehr für die Einheimischen kostet nichts. Weshalb in den Bussen nur papierlos die Tallinkarte angehalten wird. Die wir nicht hatten. In manchen Bussen piepte auch meine Visakarte und behauptete, 2 € wären weg. Die waren aber nicht abgebucht. Vielleicht kommt das noch. In anderen Bussen gab es keine Möglichkeit, mit Karte zu bezahlen. Runterladen konnte ich die Tageskarte, die nur 5,50 € kosten soll, nirgendwo. So kutschten wir heute meist als Zahlungswillige, ich oft mit schlechten Gewissen, durch Tallinn. Zuerst musste ich unbedingt an den Traum-Strand von Tallinn Pirita. Wolken verhingen den Himmel und ein hässliches Hotel dominierte das Idyll. Wir trafen auf junge Volleyballer beim Fotoshooting, sonst niemanden. Einsam watete ich in die hier trübe und flache Ostsee. Ach nee, das war kein Badevergnügen.



Gern wäre ich zu einen der sogenannten Lost Places mit dem Bus lange hin und zurück gefahren, um sehr schöne Fotos zu knipsen und den Platz zu genießen, vielleicht auch in dem klaren Tagebausee zu schwimmen. Der Ort befindet sich in dem Dorf Rummu. Aber die Enkelin wählte diesen Programmpunkt ab und entschied sich für das Meeresmuseum. Nach großem Eintrittsgeld von 30,00 € bestaunte ich die gigantische Halle, auf der schon die Klos in dunkelblauen Tiefen versinken. Sodann flanierten wir auf einer Hängebrücke an Segelbooten, Eissegelbooten (? heißen die so?), Holzkanus, Unterseebooten, Schiffchen und Bojen oder was auch immer aus der nautischen Welt vorbei. Jedes Mal gab es dazu einen Menschen auf dem Bildschirm, der auch in englisch erzählte. Fotos und Filmchen erleichterten das Verstehen. Auch das Segeln mit einem der ersten Segelflugzeuge simulierten wir und warfen kleine Papierkegel in den Wind, die darin tanzten. Ich lernte, dass dieses Museum schon vor dem zweiten Weltkrieg bestand und irgendwann vor paar Jahren sehr aufwendig saniert wurde. Ich freute mich, wieder ans Tageslicht zu kommen.


Um wieder etwas nach Geschmack der Enkelin und meinen Bedürfnissen Entgegenkommendes zu finden, schlug ich das Freilichtmuseum von Tallinn vor. Das erwies sich als großer Glücksfall für uns beide. Einerseits liegt das Museum malerisch im Wald mitten an der Ostsee mit Blick auf den Hafen von Tallinn. Andererseits gestalteten auch hier die Museumspädagogen ein für Kinder und Erwachsene ansprechendes Areal zum Mittun und Lernen. Sehr lange schauten wir in einem der Holzhäuser im Bauernhof Jüri-Jaagu einem nachgestellten Hochzeitsritual zu. Ich bestaune die schön bestickten und bunt gewebten Trachten. Die Enkelin konnte sich von dem Hochzeitsritual- Film kaum trennen. Eine Ziege, Hühner und Kaninchen leben zum großen Vergnügen meiner Enkelin im Park, Wölfe heulen, wenn wir in die Rohre reinrufen, und der Schäfer vertreibt sie mit einer Riesenrassel, die wir schwenken müssen. Selbst Hanf wächst im Garten. Ich ernte dankbar Liebstöckelsamen. Die Enkelin fragt in Anbetracht der schönen Blütenblätter, ob Lilien giftig sind. Auf einer Riesenholzschaukel am Peipussee-russischen Haus warten wir, dass im Klo mit Strom unsere Telefone wieder aufgeladen sind. Die aus Russland an den Peipussee geflohenen Gläubigen bauten Gemüse an und fischten. Von ihnen stammt die in das Kulturerbe eingegangene Zwiebeltradition und der Zichorienkaffee. Mit dem Pferdewagen drehen wir eine Runde rundum. Wir schauen in einem Bauernhof einer Frau beim Weben einer Bordüre zu. Aus dem Haus weht und duftet hölzern Rauch, der Ofen ist angeheizt. Nur das angekündigte Töpfern findet nicht statt. Obwohl wir weit liefen, um den Setukesischen Bauernhof zu finden. Die Setu- Männer waren für ihre Töpferkunst bekannt. So wäre noch viel von den verschiedenen Traditionen und Völkern und Zeiten zu lernen gewesen. Bis zum Kolchos-Mehrfamilienhaus zum Beispiel drangen wir nicht mehr vor. Schade.

Schicke Sommerküche, oder?


Weben der Bordüre und Kutschfahrt mit Pferd und Spitz und Tracht


Meine Welt, die Trachten

Fischerdorf mit romatischem Ausblick

Könnte auch im.Spreewald sein…

oder das in Schweden

…und das in Amerika oder in Europa woanders..

Trügerische Idylle

schlichter Kirchraum

Sieht doch ganz gut aus.
Wir fahren abends mit Bussen wieder „rein“ und steigen vor einem Bubble Tea Laden aus. Die Enkelin freut sich, dass wir einkehren. Allerdings muss jede/r, wie ich feststelle, ein Menü zusammenstellen, um das Getränk entsprechend Wünschen gemischt zu bekommen. Ich habe keine Bubble drin, nur Gelleestreifen. Die Enkelin erklärt mir, ich hätte sie nicht gewählt. Und erlaubt sich zu fragen, ob es unangemessen wäre, festzustellen, dass ich zu alt für Bubble bin. Nee, antworte ich, das stimmt. Warum in Kefir Gelleestreifen und Eiswürfel sein sollen und warum das so viel Geld kosten soll, das verstehe ich nicht mehr.


Die Enkelin wünscht sich Sushi, voila! Es gibt eben nicht nur Pelmeni.